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19.3.2023
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Schwarze Geschichte feiern

Der Black History Month ist in den USA ein großes Ereignis, das im Februar den gesellschaftlichen Beitrag afroamerikanischer Menschen würdigt. Auch die afrodeutsche Community ist aktiv – und macht Schwarzes Leben das ganze Jahr über sichtbar. 

Der Auftritt einer 22-Jährigen, der knapp sechs Minuten dauerte, ist noch nicht lange her. Und doch hat er schon Geschichte geschrieben. Als Amanda Gorman am 20. Januar 2021 ihr Gedicht The Hill We Climb vorträgt, begeistert sie ein Millionenpublikum.

Sie ist die jüngste Lyrikerin, die bei der Amtseinführung eines US-Präsidenten das offizielle Gedicht spricht. Der mächtigste Mann der USA heißt da schon Joe Biden – nicht mehr Donald Trump. Dieser hatte als letztes Aufbäumen seiner Macht seine Anhänger*innen zum Sturm aufs Kapitol angestachelt. Dass Bewaffnete gewaltsam in das Wahrzeichen Washingtons eindrangen und den Sitz der Demokratie bedrohten, war für viele unfassbar. Amanda Gorman hatte zu diesem Zeitpunkt die Hälfte ihrer Rede vorbereitet. Und sie reagierte auf das Entsetzen. Mit der Kraft der Poesie, mit der Macht der Worte. 

Bei ihrem Satz “We’ve braved the belly of the beast” (wörtlich: Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt) konnten sich viele das Haupt der Hydra gut vorstellen. Gerötet, mit einer blonden Haartolle. Ein Ungeheuer, mit dem Gesicht von Donald Trump. Aber nicht nur. In diesem Satz winden sich weitere Köpfe. Sie heißen Rassismus, Kolonialismus, Sklaverei, die Zerstörung indigenen Lebens. Ein schweres Erbe, verdichtet zu einer Zeile. 

Doch die Zukunft könnte besser werden. Die junge Schwarze Schriftstellerin lässt in „The Hill We Climb“ Lichtblicke aufblitzen: 

„We, the sucessors of a country and time
Where a skinny Black girl,
Descended from slaves and raised by a
Single Mother,
Can dream of becoming president,
Only to find herself reciting for one.” 

(Wir treten das Erbe eines Landes und einer Zeit an, da ein kleines, dünnes Schwarzes Mädchen, Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer alleinerziehenden Mutter, davon träumen kann, Präsidentin zu werden, und nun hier, heute, für einen Präsidenten vorträgt. Übersetzung: Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker, Kübra Gümüşay) 

Amanda Gormans Gedicht endet mit den Worten:  

“For there is always light,
If only we’re brave enough to see it
If only we’re brave enough to be it.”

(Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.)

In einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN sagte sie später über ihren Schlusssatz: „Hoffnung ist nicht etwas, das wir von anderen erwarten können, sondern etwas, das wir von uns selbst verlangen müssen.“

Der Vater des Black History Month 

Carter Godwin Woodson (1875-1950) war mutig genug, ein Hoffnungsfunke zu sein. Der Sohn ehemals versklavter Eltern hatte trotz vieler Widerstände studiert und einen Doktortitel in Geschichte erworben. Noch dazu an der renommierten Harvard University. 1926 führte der afroamerikanische Historiker eine Woche ein, die immer im Februar Beiträge Schwarzer Bürger*innen zur Geschichte der USA sichtbar machen sollte. Daraus entwickelte sich der „Black History Month“, der heute weltweit im Februar gefeiert wird. In Großbritannien, Irland und den Niederlanden ist es der Oktober. Carter Godwin Woodson hat das offizielle Aus der rassistischen Trennung zwischen Schwarzen und weißen Menschen nicht mehr erlebt. Erst 1964 erklärte das Oberste US-Gericht die „racial segregation“ für illegal. 

Mittlerweile feiern viele Städte der USA mit großen Paraden und Festivals den „Black History Month“. Die publikumswirksamen Partys lassen Tahir Della, etliche Stunden Zeitverschiebung entfernt, eher verhalten jubeln. Er ist Pressesprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), einer der ältesten Selbstorganisationen afrodeutscher Bürger*innen in der Bundesrepublik. Mitte der 1980er Jahre hatte sich der Verband in Berlin gegründet, zeitgleich mit dem Verein „Schwarze Frauen in Deutschland“ (Adefra). Tahir Della missfällt nicht, dass der Monat für Schwarze Geschichte die Massen mobilisiert. Ihn stört, dass sich die USA das restliche Jahr über nicht „rassistischen Verhältnissen“ stellt. Die großen Events seien außerdem stark kommerzialisiert und würden so die eigentliche Idee verwässern. „Auf jeder Verpackung findet man den „Black History Month“, auch Behörden hängen sich dran, die teilweise gar nicht dahinterstehen“, sagt Tahir Della am Telefon. Er findet es gut, dass in Deutschland viele kleinere Aktionen stattfinden, die ganz unterschiedliche Institutionen organisieren. Und das nicht nur vier Wochen lang, sondern das ganze Jahr über.

May Ayim: afrodeutsche Dichterin,
Pädagogin und Aktivistin

Zur ISD kam Tahir Della vor knapp 40 Jahren. Angeregt von einem Buch, das heute ein Klassiker der afrodeutschen Bewegung ist: „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.“ 1986 hatte es die Poetin und Autorin May Ayim (1960-1996) mitherausgegeben. Sie gilt als eine der wichtigsten Schwarzen Aktivistinnen der jüngeren Zeit und hatte die ISD mit ins Leben gerufen. Wer resigniert verstummt war, fand in ihren Gedichten eine Sprache, die Rassismus und Diskriminierung greifbar machte. Dass die deutsche Wiedervereinigung gewalttätig explodieren könnte, hat May Ayim schon früh befürchtet. Im Gedicht „blues in schwarz-weiß“ schreibt sie: 

„das wieder vereinigte deutschland
feiert sich wieder 1990
ohne immigrantInnen flüchtlinge jüdische
und schwarze menschen
es feiert im intimen kreis
es feiert in weiß
doch es ist ein blues in schwarz-weiß
doch es ist ein blues.“

Lebendige Erinnerungsorte

May Ayim, 1960 als Sylvia Andler in Hamburg geboren, hatte eine deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater, der später Medizinprofessor wurde. Nach anderthalb Jahren im Kinderheim wächst sie bei einer strengen Pflegefamilie in Münster als Sylvia Brigitte Gertrud Opitz auf. Ihren Antrag, „Ayim“, den Nachnamen ihres Vaters, annehmen zu dürfen, lehnen die Behörden ab. Sie wählt ihn als Pseudonym – und wird zu May Ayim. Dass sich die Aktivistin, die Mutmacherin mit nur 36 Jahren das Leben nahm, hat viele bestürzt. Ihr Engagement wirkt jedoch weiter. Mittlerweile gibt es bundesweit zahlreiche Initiativen, die sich für afrodeutsche Themen stark machen. So setzt sich etwa die „Spiegel“-Bestseller-Autorin Tupoka Ogette seit mehr als einem Jahrzehnt für einen rassismuskritischen Dialog ein. An May Ayim selbst erinnert ein Uferstück an der Spree. Dieses hieß früher „Gröbenufer“ und war im 19. Jahrhundert so getauft worden, um den Kolonialismus zu verherrlichen. 

Im Stuttgarter Westen machen seit Herbst 2022 gleich zwei Orte auf afrodeutsche Geschichte aufmerksam: der May-Ayim-Platz und der 15 Gehminuten entfernte Anton-Wilhelm-Amo-Platz. Der Philosoph und Rechtsgelehrte, der von etwa 1703 bis 1753 lebte, gilt als der erste afrodeutsche Akademiker. Anton Wilhelm Amo lehrte vor knapp 300 Jahren in Halle und Jena und forschte unter anderem über die Rechtslage Schwarzer Menschen in Europa. Dass der Jurist nun vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht sichtbar geworden ist, findet Nadine Seidu stimmig. Die Kulturwissenschaftlerin leitet die städtische Koordinierungsstelle Erinnerungskultur. Um mehr über das Leben der beiden Namensgeber*innen zu erfahren, seien noch Stelen mit Erklärtafeln geplant. Auch die Wahl May Ayims sei eine gute Entscheidung. „Die Literatin spielt im aktuellen Diskurs für die Schwarze Community immer noch eine große Rolle“, sagt Nadine Seidu. Die Neubenennungen hatte der Bezirksbeirat des Viertels angeregt, um zwei wichtige Persönlichkeiten zu würdigen und ein antirassistisches Zeichen zu setzen.

Als May Ayim 1984 eine Diplomarbeit über Rassismus in der Bundesrepublik schreiben möchte, lehnt ihr Professor ab. Es gäbe keinen Rassismus in Deutschland mehr. Der Band „Farbe bekennen“ von 1986 zeichnet allerdings ein anderes Bild. Rassismus, der beginnt bei „doch nur gut gemeinten“ Fragen, wie: „Wo kommen Sie denn jetzt wirklich her?“. Übergriffig wird bei wildfremden Händen in den eigenen Haaren. Und bis zu aggressiven Bösartigkeiten und Verletzungen reicht. Das Beunruhigende daran: Rund vier Jahrzehnte nach Veröffentlichung scheint sich kaum etwas geändert zu haben. Autor*innen von heute berichten weiterhin über immergleiche Fragen, gefährliche Situationen, von Schimpfwörtern und Stereotypen. 

Manche Berufe scheinen noch immer
eine weiße Domäne zu sein

Wenn beispielsweise die afrodeutsche Schulamtsdirektorin Florence Brokowski-Shekete von ihrem Beruf erzählt, sind ihre Gesprächspartner*innen regelmäßig verblüfft. Etwas „Exotisches“ hätte man ihr zugetraut – Tänzerin, Sängerin oder Stewardess. Aber Schulamtsdirektorin? In ihrem Buch „Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen“ bedauert Florence Brokowski-Shekete, dass manche Berufe eine weiße Domäne zu sein scheinen. Denn Schwarze Lehrer*innen, Juristi*nnen, Finanzbeamt*innen, Bürgermeister*innen oder Vermieter*innen seien in Deutschland immer noch die Ausnahme. Schablonenartige Standards ärgern auch die Autorin und Journalistin Alice Hasters. In „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ schreibt sie über Filmproduktionen: „Wenn nicht-weiße Menschen besetzt werden, dann oft nur als Klischees: als Kriminelle, als Putzkräfte oder als hilflose Opfer von Rassismus.“ 

Die Suche nach selbstbestimmter Arbeit

Ausgrenzend und bevormundend: So erlebte die 1930 geborene Marie Nejar die Arbeitswelt. Die afrodeutsche Hamburgerin musste in NS-Propagandafilmen als Schwarze Dienerin mit großen Fächern wedeln. In den 1950er Jahren war sie zur bekannten Sängerin geworden, die mit Peter Alexander auftrat. Doch diese Karriere hatte einen Beigeschmack. Das Management vermarktete die zierliche 20-Jährige als „Kinderstar“. Unter dem Namen Leila Negra musste sie fortan einen großen Teddy mit sich herumschleppen. 1957 hatte die Künstlerin die Fremdbestimmung satt und wurde Krankenschwester. Rund 100 Jahre früher schreibt die Stuttgarterin Henriette Alexander (1817–1895): „Jetzt erst wurde es mir klar, wie schwer es für mich sein werde, meiner afrikanischen Herkunft wegen ein passendes Unterkommen zu finden; denn obschon ich Gaben hatte, dachte niemand daran, mich einen Beruf lernen zu lassen.“ Eine Kunstreitertruppe zwingt die Tochter eines Schwarzen Kammerdieners als Attraktion bei ihren Shows aufzutreten. Zwei Jahre später schafft es eine Freundin, sie zu befreien. Henriette Alexander arbeitet danach als Lehrerin. Ihr Lebensbericht gilt als die erste afrodeutsche Autobiografie.

In der Politik bewegt sich etwas

Mittlerweile leben rund 1,2 Millionen Schwarze Menschen in Deutschland. Auch wenn es noch viel zu tun gibt – Tahir Della ist stolz darauf, was die afrodeutsche Community alles geschaffen hat. „In den 38 Jahren, in denen ich politisch aktiv bin, hat sich eine Menge bewegt. In der Zivilgesellschaft, aber auch in der Politik“, sagt der Pressesprecher der ISD. So fließen beispielsweise Bundesmittel in die Dekoloniale, einem Projekt zum Thema Kolonialismus und postkoloniale Gegenwart in Berlin. Auch ein zukünftiges Black-Community-Zentrum in der Hauptstadt soll mit Geld vom Bund und vom Land Berlin finanziert werden. Angeregt hatte den Begegnungs-Ort der Verein Each One Teach One (Eoto). Als Highlight der ISD-Arbeit ist Tahir Della besonders gut die Ausstellung Homestory Deutschland in Erinnerung. Von 2006 bis 2014 waren anschaulich aufbereitete Biografien Schwarzer Frauen und Männer aus drei Jahrhunderten in zahlreichen Städten, von Magdeburg bis Madagaskar, zu Gast. Was Tahir Della besonders schätzt: „Wir diskutieren mittlerweile über Themen, über die wir früher nicht gesprochen haben, wie Kolonialgeschichte oder Racial Profiling bei der Polizei.“

Die Zukunft könnte besser werden. Bei einem Vortrag in London sagte May Ayim im Jahr 1994: „Wo Unterdrückung ist, da ist auch Widerstand. Wo Widerstand ist, da ist auch Hoffnung. Und wo Hoffnung ist, da ist auch das Feiern.“

Zur Schreibweise: 

Nach der Empfehlung der ISD wird im Text „Schwarz“ groß und „weiß klein und kursiv geschrieben, weil es sich nicht um Hautfarben, sondern um politische Bezeichnungen handelt.

Weiterschauen: 

Videoporträts afrodeutscher Menschen von Jermaine Raffington 

Ausstellung Wenn wir die Masken fallen lassen im Stadtpalais Stuttgart

Weiterlesen:

Onlinemagazin RosaMag von Ciani Sophia Hoeder

Instagramm-Projekt #wasihrnichtseht von Dominik Lucha

Florence Brokowski-Shekete, Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen, Berlin 2022.

Tupoka Ogette, Ein rassismuskritisches Alphabet, München 2022.

Tupoka Ogette, exit racism, rassismuskritisch denken lernen, Münster 2021.

Amanda Gorman, The Hill We Climb – Den Hügel hinauf, Hamburg 2021.

Ika Hügel-Marshall/ Niveda Prasad/ Dagmar Schultz (Hg.), May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin, Münster 2021.

May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz (Hg.), Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin 2021 (Erstausgabe 1986).

Alice Hasters, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten, München 2019.

Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Hg.), Exotisch – höfisch – bürgerlich. Afrikaner in Württemberg vom 15. bis 19. Jahrhundert, Stuttgart 2001. 

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Text von

Annik Aicher

Bilder von

Thomas de LUZE

ISD

Craig Marolf

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Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Alice Hasters beschreibt in ihrem Buch, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze Frau in Deutschland prägt. Dabei wird klar, dass Rassismus nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft ist und dass man sich mit dem eigenen Rassismus auseinandersetzen muss, um ihn zu überwinden.

Autor*in: Alice Hasters
Titel: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten
Verlag: Hanserblau in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Buchform: Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 27.09.2021
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-446-27061-9
2. Auflage

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